Vielleicht kennen Sie das auch, dieses vorfreudige Gefühl, wenn Sie ein Buch aufschlagen und schon den ersten Sätzen anmerken: Oh, das wird gut. Weil der Ton stimmt, weil da eine Musikalität ist, weil etwas originell klingt oder einfach nur echt. Das alles trifft auf „Asphaltseele“ von Gregor Weber zu. Er lässt seine Figuren drauflosquatschen, in Straßenslang zum Teil, in Dialekt, sogar in verschiedenen Dialekten. Das hört sich so einfach an, zählt aber zum Schwierigsten überhaupt: so zu schreiben, wie man spricht. Als Juryvorsitzende freue ich mich, die Shortlist bekanntgeben zu dürfen. Der Gewinnertitel wird erst bei der Eröffnungsgala der Crime Cologne am 22. September gekürt. Aber hier sind sie, die drei besten deutschsprachigen Kriminalromane aus dem Zeitraum Herbst 2016 bis Mai 2017:
Was ist das eigentlich? Sachbuch oder Familienroman? Geschichte der BRD? Memoiren, liebevolles Vaterporträt, Urlaubsreportage oder Mallorca-Reiseführer? Man weiss es nicht so genau. Ich würde "Hotel Laguna" von Alexander Gorkow am ehesten einen Familientatsachenroman nennen. Falls es sowas gibt. Wenn nicht, gibt es das eben jetzt. Ist aber auch egal, welches Etikett der Verlag oder die Literaturkritik diesem ebenso komischen wie anrührenden, sehr persönlichen Buch aufklebt - es ist grandios gut geschrieben von Alexander Gorkow, der bei der Süddeutschen Zeitung arbeitet. Ich empfehle es ausdrücklich. Ich empfehle Ihnen nur nicht, es in der Öffentlichkeit zu lesen, denn man macht sich ein bisschen zum Idioten: Schüttellachkrämpfe, beglücktes Blödgrinsen oder Tränchen der Rührung - alles dabei. Am 18. August habe ich mit dem Autor im Deutschlandfunk Büchermarkt gesprochen, das kann man hier nachhören (zur Sendung vom 18.8. herunterscrollen). Das neue Buch von Don Winslow ist da, weltweit am 22. Juni 2017 erschienen. "Wie 'Der Pate', nur mit Cops', so gut ist es", sagt Stephen King, und Lee Child nennt "The Force", wie der Dokuthriller im Original heisst, den "wahrscheinlich besten Bullenroman, der je geschrieben wurde". Soweit die Blurbs. Doch auch die amerikanische Literaturkritik fällt weitgehend positiv aus. Das deutsche Feuilleton dagegen ist etwas gespalten. Zu groß war vielleicht die Enttäuschung über einige der schwächeren Romane, die nach Winslows triumphalen Drogenepen "Tage des Todes", "Kings of Cool" und "Savages" erschienen waren. (Für mich war "Vergeltung" Winslows Tiefpunkt. Was ihn geritten hat, ein so waffenstarrendes, adrenalinbesoffenes Männerspielzeug zu schreiben, keine Ahnung. Eigentlich tickt der Mann anders.)
Mit "Corruption" ist Don Winslow glücklicherweise wieder auf der Höhe. Holla. Aus allen Krimiprogrammen von Herbst 2016 bis Frühjahr 2017 haben Margarete von Schwarzkopf, Melanie Raabe, Orkun Ertener, Klaus Bittner und ich folgende Titel auf die Longlist gesetzt:
Mehr über die Jury, der ich dieses Jahr vorsitzen darf, hier. In "Der Block" kommt Jérôme Leroy der ultrarechten Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen gefährlich nahe. Nur dass sie darin Agnès Dorgelles heißt und ihre Partei nicht "Front National", sondern "Le Bloc Patriotique". So kurz vor der Wahl in Frankreich hat dieser 2011 geschriebene und jetzt in Deutschland veröffentlichte Roman wieder große Aktualität. In Form eines Thrillers mit Anklängen an die klassische Tragödie erzählt Leroy die Geschichte der rechtsextremen Partei und ihrer Schlägertrupps über die zurückliegenden 30 Jahre. Gutes Thema. Aber ein gutes Thema macht noch keinen guten Roman. Mon Dieu, hat dieses Buch mich genervt! Warum? Voilà: Aus Südafrika kommen seit Jahren sehr gute Kriminalromane und Thriller, die viel über die Regenbogennation und ihre Probleme erzählen. Kürzlich jedoch hat der Deutsche Max Annas mit einem Krimi, der in Südafrika spielt, den Deutschen Krimipreis gewonnen. „Die Mauer“ ist ein rasanter, absurd-komischer Thriller rund um die Spannungen zwischen Schwarz und Weiß. Ist ja erstmal eine gute Idee, Südafrika als Kulisse für einen Thriller zu nutzen. Denn für einen guten Krimiplot braucht es Konflikte, und davon gibt es am Kap nun wirklich genug. Max Annas weiß das, er hat dort ein paar Jahre gelebt. Trotzdem ist es ganz schön frech für einen Außenseiter, dem Land den Spiegel vorzuhalten, und man kann da ja auch in ein Minenfeld aus Empfindlichkeiten und politischen Korrektheiten tappen. Darf der das? Würde „Die Mauer“ einem kritischen südafrikanischen Blick standhalten? Das habe ich die deutsch-südafrikanische Literaturkritikerin Karin Schimke für den "Büchermarkt" beim Deutschlandfunk untersuchen lassen. Hier ihre Einschätzung. Fatma Aydemir ist bisher als Journalistin bekannt. Die 31jährige geborene Karlsruherin schreibt hauptsächlich für die taz, viel über Hip Hop, aber auch über deutsch-türkische Beziehungen, und seit kurzem ist sie dort federführend verantwortlich für die türkischsprachige Ausgabe im Internet, die „taz-gazete“. Jetzt legt sie ihren ersten Roman vor: „Ellbogen“, der jüngst bei Hanser erschienen ist, nachdem er zuvor bereits einiges an Vorschusslorbeeren eingesammelt hatte. Ein Coming of Age-Roman über eine junge Frau aus dem Wedding, die in der Falle sitzt. Sie hat weder Lust auf die traditionelle Verlogenheit ihres türkischen Elternhauses, noch auf die verlogenen Versprechungen Deutschlands. Hazal holt zum Befreiungsschlag aus. Die Geschichte schockt. Aber die wahre Sensation ist Hazals Stimme. Einer so authentischen Erzählstimme habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr zugehört. Für den Deutschlandfunk sprach ich mit Fatma Aydemir über die Wut ihrer Figur, die auch ihre eigene ist. Der Schriftsteller, Schauspieler, Koch und Feldwebel der Reserve Gregor Weber. (picture alliance / dpa / Horst Galuschka) Gregor Weber ist Tatort Kommissar ausser Dienst. Bis vor vier Jahren spielte er den Kriminalhauptkommissar Stefan Deininger im Tatort aus Saarbrücken. Bekannt geworden war er vorher in der "Familie Heinz Becker", als Sohn von Gerd Dudenhöffer. Parallel zur Schauspielerei lernte er Koch, und das gleich beim Berliner Sternekoch Kolja Kleeberg. UND Gregor Weber ist Hauptfeldwebel der Reserve bei der Bundeswehr. Leserinnen und Lesern haben Gregor Webers Abenteuer bisher zwei Sachbücher beschert - eins übers Kochen und eins über einen Bundeswehreinsatz in Afghanistan -, aber auch einen Steampunkroman und zwei Krimis. Sein neuestes Buch ist wieder ein Kriminalroman, "Asphaltseele", und aus diesem Anlass habe ich im "Krimi Spezial" beim Büchermarkt im Deutschlandfunk mit Gregor Weber gesprochen. Juryvorsitzende Gisa Klönne und Crime Cologne Award Gewinnerin Simone Buchholz (Foto: Michael Haus) Friedrich Ani stand auch auf der Longlist für den Crime Cologne Award. Aber er ist ein bisschen mitschuldig daran, dass der Preis in diesem Jahr an Simone Buchholz und ihren Roman "Blaue Nacht" ging. Folgendes postete der Großmeister im März auf seiner Facebookseite und setzte die St. Paulianerin damit auf die Liste der Kritiker: Diese Autorin ist eine so verdammt warmherzige und eiskalte und gnadenlos-ehrliche Romantikerin, dass die Schlagringe der härtesten Schläger augenblicklich schmelzen würden, sollten sie je auf dieses Buch von Simone Buchholz treffen! Ich nehme mich selbst da gar nicht aus. Auch mich hat Ani auf diese Weise an Simone Buchholz erinnert. Bei 80 000 Neuerscheinungen im Jahr auf dem deutschen Buchmarkt kann man schon mal jemanden aus dem Auge verlieren. Vor Jahren bereits mochte ich Simone Buchholz' sehr lustige Single-Kolumne in der Brigitte. Die schreibt sie nicht mehr, denn sie ist inzwischen verheiratet mit Kind. Also wechselte sie zum Kriminalroman (dieser kausale Zusammenhang leuchtet mir unmittelbar ein).
"Blaue Nacht" ist der mittlerweile sechste Roman um Chastity Riley, GI-Kind und Staatsanwältin in Hamburg mit guten Verbindungen ins Milieu. Eine einzige große Freude, dieses Buch. Und als Mitglied der Jury zum Crime Cologne Award hatte ich zusammen mit... |