Ein einziger Moment kann hunderte von Büchern verkaufen. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Der Autor gut gelaunt, das Publikum in Geberlaune UND - das Wichtigste an dieser Stelle: Ein extrem talentierter, zu recht populärer Schauspieler, der mal kurz aus der Rolle fällt, um sich über den Text zu amüsieren. Siehe in diesem Beitrag aus DAS vom NDR, ab ca Minute 3.00. Charly Hübner liest "Mörder Anders und seine Freunde nebst dem ein oder anderen Feind" von Jonas Jonasson. Ergebnis: Lange Schlangen am Büchertisch, Autor signiert eine Stunde lang, alle in Charly Hübner verliebt, Buchhändler glücklich. Wenn Charly Hübner tatsächlich die Rolle des Mörder Anders in der Verfilmung des Buches bekommt, ist für mich eine Vermittlungsgebühr drin. Von mir aus spielt er auch Taxi-Thorsten. Läuft. Charly Hübner, Jonas Jonasson, Christian Heymann von der Buchhandlung Heymann beim Harbourfront Literaturfestival.
Da sind sie: Oliver Bottini mit "Im weissen Kreis", Simone Buchholz mit "Blaue Nacht" und Andreas Pflüger mit "Endgültig". Jedes Jurymitglied konnte drei Bücher nominieren. Satt und zufrieden, wenn nicht eklig von mir selbst eingenommen, strahle ich aus dem Foto, weil es meine drei Vorschläge komplett und geschlossen unter die ersten Drei geschafft haben (und ich vermute, auch wegen Fabian Pasalks freundlicher Photoshopaktivitäten).
v.l.: Orkun Ertener, moi, Gisa Klönne, Margarethe von Schwarzkopf, Klaus Bittner. Preisverleihung auf der Crime Cologne im September! Die perfekte Sommerlektüre für Menschen mit literarischem Anspruch: Liebe, Verletzungen, Trennungen. Geburten, Freude, Wahnsinn. Kindheit, Jugend, Alter, Tod. Um nichts weniger geht es. Ein tiefschürfendes, vielschichtiges Buch - aber gleichzeitig federleicht und außerordentlich tröstlich. Das ist "Die Sommer der Porters" von Elizabeth Graver. In den USA ist sie eine bekannte und anerkannte Schriftstellerin, in Deutschland dagegen kennt sie kaum jemand. Vielleicht ändert sich das jetzt mit ihrem vierten Roman, der für den National Book Award nominiert war und bei uns pünktlich zu den Sommerferien im Mare Verlag erschien, übersetzt von Juliane Zaubitzer. Für den "Büchermarkt" beim Deutschlandfunk habe ich Elizabeth Graver per Skype interviewt. Mittagspause während einer Konferenz in Kampala. Mein Tischnachbar ist Anwalt. Er arbeitet für eine Organisation, die sich für Kleinbauern und andere einsetzt, die um ihr Land fürchten. "Landgrabbing" heisst das, ziemlich verbreitet: Reiche und Mächtige vertreiben die Armen von ihrem Land, stehlen ihnen ihren einzigen Besitz und damit meist auch die einzige Einnahmequelle. Sprich: Der Anwalt legte sich regelmäßig mit sehr einflussreichen, sehr skrupellosen Typen an. David gegen Goliath, so die Nummer. Nur dass Goliath irgendwann Männer mit Macheten schickte, oder Pangas, wie sie hier genannt werden. Sie lauerten dem Anwalt auf, als er nach Hause kam. Am Tor vor seinem Grundstück hielten sie ein Feuerzeug an den Tank seines Autos. Also stieg er aus. Der Anwalt sah, dass sein Wachmann tot auf dem Boden lag. Kehle durchgeschnitten. Drei Männer gingen mit Pangas auf ihn los. Der Anwalt wehrte einen Hieb auf seinen Kopf mit der linken Hand ab, hielt die Panga fest. Pangas sind scharf auf beiden Seiten, aber er hielt fest. Seine linke Hand wurde zerschnitten, aber nicht abgeschnitten. Er nahm dem Killer die Panga tatsächlich ab, während die anderen beiden weiter auf ihn eindroschen. Er schlug dem ersten Angreifer eine Hand ab, dem zweiten ein Ohr, dem dritten stach er mit dem Finger ein Auge aus. Die Typen rannten schließlich weg. Der Anwalt blieb acht Monate im Krankenhaus, wo sie ihn zusammenflickten. Die Narben an den Händen habe ich gesehen. Er weiss bis heute nicht, wer genau den Auftrag zu diesem Mord gab. Man hat die drei verhinderten Killer zwei Wochen nach der Tat verhaftet. Sie hatten versucht, ihre Wunden selbst zu versorgen. Irgendwann waren sie doch zu einem Doktor gegangen, der sie der Polizei meldete. Sie gaben nichts preis und starben mysteriöserweise kurz darauf alle gleichzeitig in ihren Zellen. Das alles erzählte der Anwalt mir und meinem Kollegen beim Mittagessen.
Er arbeitet jetzt wieder auf seiner alten Stelle, wo er weiterhin die Interessen der Machtlosen gegen die der Mächtigen verteidigt. Eine weitere Anwältin der Hilfsorganisation wurde auch überfallen, aber ungleich - wie soll ich es nennen - höflicher? In diesem Fall tauchten mehrere maskierte Männer nachts in ihrem Haus auf. Sie hatten sich einen Tunnel in die Garage gegraben. Garagen stehen hier oft auf unbefestigtem Boden. Von der Garage führte eine Tür ins Haus, durch die die Männer in den Wohnbereich kamen. Sie gingen ins Schlafzimmer der Anwältin, schoben das Moskitonetz zur Seite, setzten sich auf die Bettkante und weckten die Frau mit sanften Klapsen auf die Schulter. Nebenan schliefen ihre vier Töchter. Die Männer verlangten ihren persönlichen Laptop und alle Dokumente über alle ihre Fälle, die sie zuhause lagerte. Nachdem sie alles bekommen hatten, wiesen sie die Anwältin an, sich ruhig zu verhalten und ein bisschen zu schnarchen, damit die Töchter nicht geweckt wurden. Sie nahmen keine Wertsachen oder andere Privatgegenstände mit, nur das Telefon, damit niemand die Polizei rufen könnte. Das Handy wurde später ausserhalb der Grundstücksmauer gefunden, zerstört. Die Anwältin hat die Organisation danach verlassen. Was ich hundertprozentig verstehen kann. Da ist sie, die Longlist zum Crime Cologne Award. Ausgezeichnet wird der beste deutschsprachige Kriminalroman, erschienen im Herbst 2015 oder Frühjahr 2016. Essays und Artikel über die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im Literaturbetrieb erscheinen immer wieder, zuletzt am vergangenen Freitag im "Guardian" unter dem Titel "If you doubted there was gender bias in literature this study proves you wrong". Mir war da kürzlich auch etwas aufgefallen. Martin Walser hat einen neuen Roman veröffentlicht. Er hatte eine Co-Autorin, Thekla Chabbi. Er erwähnt diese Tatsache ausdrücklich und immer wieder. Die Literaturkritik eher nicht. Das Buch heisst "Ein sterbender Mann". Es könnte auch "Eine verschwundene Frau" heissen. Martin Walser und Thekla Chabbi im April 2016 (Foto: Oskar Neubauer)
Gard Sveen aus Norwegen ist der internationale Newcomer des Jahres. "Der letzte Pilger" wurde in Norwegen mit dem Rivertonpreis ausgezeichnet sowie mit dem wichtigsten skandinavischen Krimipreis, dem Glass Key Award. Auch hier in Deutschland bekommt das erstaunlich professionell geschriebene Debüt viel Kritikerlob. Es geht um Kollaboration und Widerstand im von den Nazis besetzten Norwegen zwischen 1940 und 1945. Eine intelligente Mischung aus Krimi, Spionagethriller und historischem Roman. Geschrieben von jemandem, der mit dem Literaturbetrieb bisher überhaupt nichts zu tun hatte. Denn Gard Sveen ist Staatswissenschaftler und arbeitet als Chefberater des norwegischen Verteidigungsministers. Die wenigsten Leser, aber auch kaum Kritiker hier in Deutschland kennen die hochspannende Hintergrundgeschichte von "Der letzte Pilger": Gard Sveen bezieht sich auf einen wahren Fall, in den - so vermutet nicht nur er - der ehemalige norwegische Verteidigungsminister Jens Christian Hauge verwickelt war. Ein Säulenheiliger der norwegischen Sozialdemokratie. So lässt sich Sveens Buch auch als Schlüsselroman auf die norwegische Nachkriegsgeschichte lesen. Es thematisiert Fehler und sogar Verbrechen des Widerstands, dessen Protagonisten nach dem Krieg die Politik Norwegens für Jahrzehnte bestimmen sollten. Diese mächtigen Männer (und ihre Nachfolger) hatten 70 Jahre lang die Deutungshoheit über die jüngere Geschichte. Eine kritische historische Aufarbeitung habe nie wirklich stattgefunden, sagt Gard Sveen. Im Gegenteil, wichtige Akten seien verschwunden. Und so spürt der Autor derzeit selbst einigen Widerstand. Bei Diogenes ist gerade Esmahan Aykols neuer Krimi "Istanbul Tango" erschienen, der vierte Fall für Kati Hirschel. Aus diesem Anlass hier noch einmal mein Artikel über die Istanbuler Underground Szene, in dem sie porträtiert wird. Ebenso wie Perihan Mağden, über die man in letzter Zeit auch wieder viel hörte. Denn sie hat dasselbe Problem wie Jan Böhmermann: Staatspräsident Erdoğan verklagte sie wegen Beleidigung. In einem Magazin hatte sie geschrieben, Erdogan verhalte sich "wie ein in die Enge getriebenes wildes Tier". Here's about one of my pet peeves: The German obsession with acacias on the covers of books from or about Africa. Mein ewiger Lieblingsaufreger. Es muss im deutschen Buchhandel ein Gesetz geben, nach dem eine Akazie auf Büchern aus oder über Afrika zwingend vorgeschrieben ist. Man müsste sich wegen des Mimosengewächses ja nicht so empfindlich anstellen. Nur: Der deutsche Hang zum Savannenbaum richtet literarische Flurschäden an. |