![]() Gard Sveen aus Norwegen ist der internationale Newcomer des Jahres. "Der letzte Pilger" wurde in Norwegen mit dem Rivertonpreis ausgezeichnet sowie mit dem wichtigsten skandinavischen Krimipreis, dem Glass Key Award. Auch hier in Deutschland bekommt das erstaunlich professionell geschriebene Debüt viel Kritikerlob. Es geht um Kollaboration und Widerstand im von den Nazis besetzten Norwegen zwischen 1940 und 1945. Eine intelligente Mischung aus Krimi, Spionagethriller und historischem Roman. Geschrieben von jemandem, der mit dem Literaturbetrieb bisher überhaupt nichts zu tun hatte. Denn Gard Sveen ist Staatswissenschaftler und arbeitet als Chefberater des norwegischen Verteidigungsministers. Die wenigsten Leser, aber auch kaum Kritiker hier in Deutschland kennen die hochspannende Hintergrundgeschichte von "Der letzte Pilger": Gard Sveen bezieht sich auf einen wahren Fall, in den - so vermutet nicht nur er - der ehemalige norwegische Verteidigungsminister Jens Christian Hauge verwickelt war. Ein Säulenheiliger der norwegischen Sozialdemokratie. So lässt sich Sveens Buch auch als Schlüsselroman auf die norwegische Nachkriegsgeschichte lesen. Es thematisiert Fehler und sogar Verbrechen des Widerstands, dessen Protagonisten nach dem Krieg die Politik Norwegens für Jahrzehnte bestimmen sollten. Diese mächtigen Männer (und ihre Nachfolger) hatten 70 Jahre lang die Deutungshoheit über die jüngere Geschichte. Eine kritische historische Aufarbeitung habe nie wirklich stattgefunden, sagt Gard Sveen. Im Gegenteil, wichtige Akten seien verschwunden. Und so spürt der Autor derzeit selbst einigen Widerstand. Antje Deistler: Gard Sveen, Ihrem Buch liegt ein wahrer historischer Kriminalfall zugrunde. Warum haben Sie sich dieses Thema ausgesucht? Gard Sveen: Das geht zurück in die 90er Jahre. Damals wurden zwei Sachbücher über einen vergessenen Helden des Widerstands veröffentlicht, Kai Holst, der im Sommer 1945 in Stockholm tot aufgefunden wurde. Angeblich hatte er Selbstmord begangen. Aber seine Waffe wurde in der rechten Hand gefunden, obwohl er Linkshänder war. Für mich klingt das bizarr, ich denke eher, dass er liquidiert wurde. Später stellte sich heraus, dass alle Akten über Holst aus den Archiven entfernt worden waren, in Schweden wie auch in Norwegen. Also ein sehr heikler Fall in der norwegischen Geschichte, ebenso wie in der Politik. Davon ist meine Geschichte inspiriert. Ich habe mich natürlich gefragt: Warum musste er sterben? Grabstein des Widerstandskämpfers Kai Holst, dessen Geschichte dem Buch zugrunde liegt AD: Zu welchem Ergebnis sind die Sachbücher gekommen, die Sie erwähnten? GS: Die sind nicht wirklich zu Ergebnissen gekommen. Als Historiker muss man Beweise liefern, wenn man Anschuldigungen erhebt. So warfen die Sachbücher eher Fragen auf. Ich als Autor eines fiktiven Buchs kann da Lücken füllen, und das habe ich versucht zu tun. Die Tragik von Holst besteht darin, dass er eine der zentralen Figuren des norwegischen Widerstands gegen die Nazis war, ein Anführer, einer der besten Freunde von Jens Christian Hauge, der später Verteidigungsminister Norwegens wurde und damit zum jüngsten Verteidigungsminister der Welt. Für mich steht fest, dass diejenigen, die nach dem Krieg die Macht in Norwegen inne hatten, genau wussten, was Holst zugestoßen war. Sie entschieden sich aber dafür, darüber nicht zu sprechen. AD: In Ihrem Buch wird ein hochangesehener Politiker namens Carl Oskar Krogh mit dem alten Todesfall in Zusammenhang gebracht und grausam ermordet. Dessen reales Vorbild Jens Christian Hauge lebt nicht mehr, er kann keine Stellung zu Ihrem Buch nehmen. GS (lachend): Nein. Er wäre mit Sicherheit nicht glücklich über mein Buch. Was wusste er über Kai Holsts Tod? Jens Christian Hauge, führender Politiker Norwegens nach 45 "DAS GEHEIMNIS IST SIEBZIG JAHRE LANG BEWAHRT WORDEN" AD: Wie fielen die Reaktionen in Politik und Gesellschaft Norwegens aus? GS: Das Tragische ist, dass kaum noch jemand weiss, wer Holst war. Das hat mein Buch jetzt ein bisschen geändert, ebenso wie eine Fernsehdokumentation, die beinahe gleichzeitig herauskam. Es gab eine Debatte, ja, aber die Archivakten sind immer noch verschwunden. Solange sich niemand mit diesen Akten meldet, werden wir da nicht weiterkommen. Das Geheimnis ist siebzig Jahre lang bewahrt worden. Die Leute, die die Akten haben, werden die Büchse der Pandora auch jetzt nicht öffnen wollen. Das wird für die nicht angenehm. AD: Ihr Buch wirft über den Einzelfall hinausgehende Fragen auf. Die norwegische Widerstandsbewegung zum Beispiel zeigen Sie längst nicht nur in glänzendem historischen Licht. GS: Ich wollte Krieg exakt so beschreiben, wie er geführt wird. Die Geschichte des Widerstands in Norwegen wurde immer in schwarz und weiss geschildert, Gut und Böse. Es war immer klar: Der Widerstand, das waren die Guten, die Bösen die Deutschen. Mein Kriminalroman zeigt gute und schlechte Menschen auf beiden Seiten. Natürlich hat auch der Widerstand Fehler gemacht. Man durfte in Norwegen lange nicht erwähnen, dass der Widerstand auch mal zu weit ging, dass Unschuldige getötet wurden. Das wollte ich tun. Führende norwegische Historiker und Politiker haben lange bestimmt, welche Geschichten erzählt und welche vergessen werden sollten. Jetzt, nach siebzig Jahren, sollte doch eine freiere Debatte möglich sein. Die Widerstandskämpfer sind inzwischen alle tot, wir sollten jetzt anfangen darüber zu sprechen, was wirklich geschah. AD: Siebzig Jahre sind eine lange Zeit. So lange wurden Ihrer Meinung nach bestimmte Fakten unterdrückt? GS: Auf jeden Fall! Es gab einige wenige Historiker, die sich auch für die nicht so glorreichen Aspekte des Widerstands interessierten. Aber die wurden als Kommunisten diskreditiert. Nach dem Krieg ging der Kalte Krieg los, da wurden die Karten neu gemischt. Wir sind von deutscher Besatzung direkt zu Kaltem Krieg übergegangen, plötzlich war Deutschland ein Verbündeter. Diese ganze Zeit über war es sehr schwierig, kritisch über den Widerstand zu sprechen. "ES IST NICHT LEICHT, IM KRIEG MENSCH ZU BLEIBEN" AD: "Der letzte Pilger" ist extrem gut geschrieben, konstruiert und geplottet. Dafür hat das Buch wichtige Preise gewonnen. Aber das Interesse ist auch wegen des Themas so groß, richtig? GS: Ja, es hat den Riverton Preis gewonnen, ich habe Jo Nesbø geschlagen! Es war 2013 zum ersten Mal erlaubt, dass jemand ein zweites Mal gewinnt. Nesbø war nominiert, alle dachten, er wird gewinnen. Aber ich habe ihn geschlagen und bin sehr glücklich darüber. Das Buch handelt eben auch von den Liquidierungen, die der Widerstand durchführte, das ist ein sensibles Thema in Norwegen, das noch kaum ans Licht gekommen ist. Sie haben Gegner liquidiert, sie haben Fehler gemacht, manchmal auch Unschuldige umgebracht. Das passiert im Krieg. Ich wollte ein Buch schreiben über die schwierigen Entscheidungen, die man im Krieg treffen muss. Auf beiden Seiten, auf der norwegischen wie der deutschen. Es ist nicht leicht, im Krieg Mensch zu bleiben. Außerdem wollte ich über eine starke Frau schreiben. Frauen spielten eine wichtige Rolle im Widerstand, aber wenn es um Krieg geht, schreiben normalerweise Männer über andere Männer, die Mut im Krieg gezeigt haben. Frauen werden dabei vergessen, sie gehen nach dem Krieg zur Tagesordnung über. Während Männer weiter mit ihren Großtaten angeben. AD: Hat das Buch eine breitere Diskussion angestoßen? GS: Nicht wirklich. Es ist ja nur Fiktion. Ein berühmter Historiker hat mir geschrieben, nachdem ich den Preis gewonnen hatte, um den Fall Holst zu diskutieren. Das hat dann doch nicht stattgefunden. Ihm gefiel scheinbar meine Theorie nicht. Es ist schwierig, wenn man seine gesamte Karriere auf einer bestimmten Sicht der Geschichte aufgebaut hat und plötzlich kommt da jemand mit einer anderen Version. Da macht man sich nicht beliebt. Außerdem haben wir beide auch noch denselben Arbeitgeber, nämlich das Verteidigungsministerium Norwegens. Wir belassen es jetzt einfach dabei. AD: Haben Sie als Angestellter des Verteidigungsministeriums Schwierigkeiten bekommen? "DIESE PAPIERE BEDEUTEN MACHT, DIE VERSCHWINDEN NICHT EINFACH" GS: Wahrscheinlich hat es dem Buch eher geholfen. Man dachte, ich wisse mehr über den Fall als die meisten Norweger, weil ich Zugang zu vertraulichen, gesperrten Informationen habe. Aber das stimmt nicht, ich weiß genauso wenig wie alle anderen. Die Akten sind weg. Ich glaube nicht, dass sie zerstört wurden. Die wurden entfernt und liegen wahrscheinlich noch bei irgendwem zuhause im Keller. In diesem Geschäft verschwinden Papiere nicht einfach. Diese Papiere bedeuten Macht, die verschwinden nicht. Aber obwohl ich schon denke, dass meine Position dem Buch geholfen hat, kann ich es auch nicht zu weit treiben. Ich habe einen Artikel in einer norwegischen Zeitung geschrieben und gefordert, dass Holst einen Orden bekommen sollte. Er war zeitweise die wichtigste Gestalt des norwegischen Widerstands, dafür wurde er nie ausgezeichnet oder auch nur anerkannt. Daraufhin wurde mir gesagt, bis hierhin und nicht weiter! Das Verteidigungsministerium händigt schließlich diese posthumen Orden aus. Mal sehen. Falls ich jemals meinen Job kündige, werde ich das Anliegen weiterverfolgen. AD: Aber das Buch selbst ist nicht angreifbar, weil es ein fiktionales Werk ist? GS: Ja, als Autor von erfundenen Geschichten kann ich schreiben, was ich will. Es wird schwer, mich wegen meiner Theorie zu verklagen, ich kann immer sagen: Hey, ich hab das doch nur erfunden! Obwohl ich glaube, dass einiges wahrscheinlich genau so passiert ist. Als Historiker hätte ich das nicht schreiben können. Das ist das Großartige an Fiktion: Man kann schreiben, was man will. Es kann so gefährlich sein, wie es will. Ich kann immer sagen: Hey, it's just fiction! AD: Sie haben sich aber zum Teil keine große Mühe gegeben, die Namen zu verschleiern, die sind doch recht nah dran... GS: Ja, aus Holst wurde Holt. Aber andere Namen musste ich stärker verändern. Mein Verleger hat in den 90ern eine sehr kontroverse Dokumentation über die vom Widerstand durchgeführten Liquidierungen herausgebracht. Das gab damals einen Riesenaufschrei, der Verlag wurde von einem berühmten alten Widerstandskämpfer verklagt und musste daraufhin die erste Druckversion komplett zurückziehen. Das wollte der Verleger nicht noch einmal riskieren. Deshalb verlangte er stärkere Änderungen. Es geht um sehr mächtige Politiker, die zwar tot sind, deren Nachfolger das Erbe aber streng überwachen und ihren Ruf verteidigen. AD: Sie stoßen einige Säulenheilige der Nachkriegspolitik in Norwegen vom Sockel? GS: Ja klar. Und es ist ja auch schwer, im Krieg ein Heiliger zu bleiben. Eigentlich unmöglich. Einer der Deutschen sagt es im Buch: Die einzige Ehre im Krieg besteht darin, zu überleben. Das ist das einzige Ziel, und dafür tut man alles. Das gilt für alle Charaktere in meinem Buch. AD: Glückwunsch. Ziemlich viele Helden angepinkelt. Einschließlich Jo Nesbø! Stecken Sie in Schwierigkeiten? GS: Ja, eigentlich hatten alle damit gerechnet, dass Jo Nesbø den Riverton Preis wieder gewinnt. Er war der erste Debütant, der den Preis je gewann, und ich wurde der zweite. Ihn zu schlagen, brachte mir ziemlich gute Publicity ein. Er ist ein toller Schriftsteller, aber jeder Große braucht Konkurrenz. Ich hoffe, ich werde auch weiterhin einer derjenigen sein, die ihm die Konkurrenz geben, die er braucht. AD: Das ist aber freundlich von Ihnen! Beruht eigentlich auch die weibliche Heldin Agnes Gerner, die norwegische Spionin im Dienst der Briten, auf einer historischen Person beruht oder ist diese Figur erfunden? ![]() GS: Beides. Ich habe sie erfunden, aber sie ist inspiriert von einer norwegischen Schauspielerin, Sonja Wigert, die während des Krieges sehr aktiv war. Sehr berühmte, schöne Frau. Sie hatte wohl eine Affäre mit dem deutschen Reichskommissar Josef Terboven, dem mächtigsten und furchteinflößendsten Deutschen in Norwegen. Dabei hat sie wahrscheinlich die ganze Zeit als Geheimagentin für die Briten gearbeitet. Aber in Norwegen steht sie immer noch in dem Ruf, ein Nazi gewesen zu sein. Ich glaube das nicht. Sie hat ihre Geschichte nie ganz erzählt. Vermutlich hatte sie die Mission, den Reichskommissar in sie verliebt zu machen, um an Geheimnisse zu kommen. Die sogenannte Honigfalle hat damals schon gewirkt, sie wirkt heute und wird immer wirken. Menschen haben Gefühle. Wenn sich so eine schöne Schauspielerin einem Mann nähert, wird der ihr irgendwann verfallen. Es gab aber auch einige dänische Widerstandskämpferinnen, die ziemlich viele Leute liquidiert haben. Darunter Ella von Kappeln, eine ehemalige Nonne. Sie brachte Deutsche um, aber auch dänische Kollaborateure. Faszinierend. Ich schreibe gern über Frauen. Sie fügen der Geschichte etwas hinzu, das es nicht gäbe, wenn der Roman nur unter Männern spielte. Das wäre mir zu langweilig. AD: Wo haben Sie überhaupt gelernt, so gut zu schreiben? Schriftsätze im Verteidigungsministerium sind doch eher sachlich, um nicht zu sagen langweilig? GS (lacht): Ja, Schriftstücke im Verteidigungsministerium sind langweilig. Sollen sie auch sein. Meine Ex-Frau ermutigte mich vor zwanzig Jahren zum Schreiben, sie meinte, ich könnte ein toller Schriftsteller werden. In einer frühen Midlife Crisis, so mit 35, fing ich damit an. Der erste Versuch war erfolglos, der ist mir heute peinlich. Aber damit habe ich gelernt zu schreiben. Das dauert ein paar Jahre, zumindest für mich. Irgendwann hatte ich das Glück, dass dieses Skript von einem großen norwegischen Verlag gekauft wurde, darüber bin ich immer noch happy. AD: Wo wir gerade über Frauen und das Schreiben sprechen. Ihre Hauptfigur, der Ermittler Tommy Bergmann, hat persönliche Probleme. Das kennen wir ja von skandinavischen Krimihelden - GS: ...die müssen Probleme haben, sonst finden Sie keinen Verlag. Nicht mit einem perfekten Helden, das können Sie vergessen! AD:... ja, Sie haben Ihrem Helden ein sehr spezielles, ziemlich kontroverses Problem ausgesucht. "WIE KANNST DU ES WAGEN, SOWAS ZU SCHREIBEN!" GS: Das ist richtig, das ist kontrovers: Zu Anfang des Romans wurde Tommy Bergmann von seiner Freundin verlassen, weil er sie geschlagen und misshandelt hat. Der Verleger war erstmal geschockt: "Wie kannst du es wagen, sowas zu schreiben!". Dann hat er sich aber entschieden, es so zu lassen. Wenn wir irgendwas an diesem Buch so lassen, meinte er, dann, dass Tommy Bergmann seine Frau misshandelt hat. Denn das ist ein viel größeres Problem in der Gesellschaft, als wir denken. Es gibt zu viele Männer, die das tun. Sie können ansonsten in jeder Hinsicht perfekt sein, aber sie schlagen ihre Ehefrauen. Ich wollte auch dieses Thema beleuchten. Ich habe das mit einem Freund von mir besprochen, der Psychologe ist, der solche Männer therapiert. Der sagte, er sei stolz auf mich, dass ich es gewagt habe, dieses Thema anzufassen, und dass ich mich wundern würde, was für Männer zu häuslicher Gewalt neigen. Das müssen keine kontrollwütigen Psychopathen sein. Tommy ist eigentlich einer von den Guten, aber er hat Probleme, an denen er arbeiten muss. Und er will wirklich nicht so sein. Das gilt wahrscheinlich für viele Männer, die ihre Frauen schlagen. Sie wissen nicht, wie sie kommunizieren sollen, vielleicht gab es etwas in ihrer Kindheit, das sie jetzt an den Frauen auslassen. Das ist tragisch. AD: Wie fiel die öffentliche Reaktion darauf aus? GS: Das politische Thema des Buchs stand stärker im Mittelpunkt. Aber viele haben sich gewundert. Kriminalromane haben oft glattere, besser vermarktbare Protagonisten. Sie sind danach ausgelegt, was Marketingspezialisten als das vermuten, was Leser lesen wollen. Dann sind sie nicht ganz so menschlich, wie sie sein sollten. Ich habe die Gelegenheit genutzt, etwas anders zu machen. Männliche Leser haben mich gefragt, wie ich es wagen könne, so etwas zu schreiben. Ich habe denen gesagt, hey, so sind Männer. Es heisst ja immer, Männer seien so simpel. Sind sie nicht, sie sind genauso komplex wie Frauen. Sie sind nur nicht so gut im Reden. AD: Ich hätte eher mit ablehnenden Reaktionen von Frauen, speziell von Feministinnen, gerechnet. GS: Ich habe noch keine Leserin getroffen, oder Kritikerin, die Tommy deshalb kritisiert hätten. Vielleicht wundern sie sich zuerst, aber dann wird ihnen klar, dass er tief drinnen ein guter Mann ist. Und sie wissen auch, dass ich als Schriftsteller ein Thema brauche, das die Figur auch in der Zukunft trägt. Er wird entweder einen Rückfall erleiden und jemanden verprügeln oder er entscheidet sich, so nicht weitermachen zu wollen. Wenn er eine neue Beziehung eingeht, muss er an sich arbeiten. Er hat Angst vor sich selbst. Wenn er eine Frau trifft, hat er Angst vor seinen eigenen Reaktionen. Er scheut vor einer neuen Liebesbeziehung zurück. Da muss er handeln. DAS NÄCHSTE BUCH: DER MANN, DER KEIN SERIENMÖRDER WAR
AD: Tommy Bergmann geht also in Serie. "Der letzte Pilger" war zumindest auf einer Ebene ein historischer Roman. Gehen Sie im nächsten Roman wieder auf Zeitreise? GS: Im nächsten Buch geht es zurück in die 80er, in die Zeit, in der Tommy bei der Polizei anfing. Es wird ein ganz anderes Buch, aber ich hoffe, es behält den Ton bei. Ich hatte mir zwar mal geschworen, niemals einen Serienkillerroman zu schreiben, aber genau das habe ich getan. Ich habe mir selbst gegenüber ein Versprechen gebrochen, und es hat großen Spaß gemacht. Das nächste Buch beruht wieder auf einem wahren Fall. Es geht um den Serienmörder Thomas Quick, der zugab, acht junge Mädchen getötet zu haben. In Norwegen und in Schweden. Es stellte sich aber heraus, dass er unschuldig war. Er ist einfach geisteskrank. Er musste aus dem Gefängnis entlassen werden, ein Riesenskandal. Aber wenn er diese Mädchen nicht umgebracht hat, hat es ein anderer getan. Wenn der noch lebt, dann läuft er da draußen frei herum. Das ist ein beängstigender Gedanke. Darüber wollte ich schreiben. Aber auch darüber, wie es ist, als Monster zu gelten. Thomas Quick klebt immer noch das Etikett "größter Massenmörder der skandinavischen Geschichte" an. Dieses Bild ist so stark verankert, auch bei mir, dass man sich davon kaum befreien kann. Es muss schwer sein, als ein Monster angesehen zu werden, das man nicht ist. Er ist zwar auch nicht gerade unschuldig, denn er hat eine Reihe anderer Verbrechen begangen. Aber er ist kein Killer. AD: Hat man den wahren Mörder nie gefasst? GS: Nein, der wurde nie gefunden. Leif G. W. Persson, der schwedische Kriminologe und Krimischriftsteller, hat das Thema mal aufgegriffen. Aber sonst wird darüber nicht viel gesprochen. Es ist eine unangenehme Vorstellung, dass bei uns ein Serienkiller frei herumläuft. Es könnten natürlich auch mehrere gewesen sein. Aber das glaube ich nicht. Die nordischen Länder sind klein, so viele verrückte Mörder gibt es hier auch wieder nicht. *** „Helvete åpent“ lautet der norwegische Titel des zweiten Falls für Tommy Bergmann. Die deutsche Übersetzung wird im Frühjahr 2017 bei List erscheinen. Comments are closed.
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