Da ist sie, die Longlist zum Crime Cologne Award. Ausgezeichnet wird der beste deutschsprachige Kriminalroman, erschienen im Herbst 2015 oder Frühjahr 2016. Essays und Artikel über die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im Literaturbetrieb erscheinen immer wieder, zuletzt am vergangenen Freitag im "Guardian" unter dem Titel "If you doubted there was gender bias in literature this study proves you wrong". Mir war da kürzlich auch etwas aufgefallen. Martin Walser hat einen neuen Roman veröffentlicht. Er hatte eine Co-Autorin, Thekla Chabbi. Er erwähnt diese Tatsache ausdrücklich und immer wieder. Die Literaturkritik eher nicht. Das Buch heisst "Ein sterbender Mann". Es könnte auch "Eine verschwundene Frau" heissen. Martin Walser und Thekla Chabbi im April 2016 (Foto: Oskar Neubauer)
Gard Sveen aus Norwegen ist der internationale Newcomer des Jahres. "Der letzte Pilger" wurde in Norwegen mit dem Rivertonpreis ausgezeichnet sowie mit dem wichtigsten skandinavischen Krimipreis, dem Glass Key Award. Auch hier in Deutschland bekommt das erstaunlich professionell geschriebene Debüt viel Kritikerlob. Es geht um Kollaboration und Widerstand im von den Nazis besetzten Norwegen zwischen 1940 und 1945. Eine intelligente Mischung aus Krimi, Spionagethriller und historischem Roman. Geschrieben von jemandem, der mit dem Literaturbetrieb bisher überhaupt nichts zu tun hatte. Denn Gard Sveen ist Staatswissenschaftler und arbeitet als Chefberater des norwegischen Verteidigungsministers. Die wenigsten Leser, aber auch kaum Kritiker hier in Deutschland kennen die hochspannende Hintergrundgeschichte von "Der letzte Pilger": Gard Sveen bezieht sich auf einen wahren Fall, in den - so vermutet nicht nur er - der ehemalige norwegische Verteidigungsminister Jens Christian Hauge verwickelt war. Ein Säulenheiliger der norwegischen Sozialdemokratie. So lässt sich Sveens Buch auch als Schlüsselroman auf die norwegische Nachkriegsgeschichte lesen. Es thematisiert Fehler und sogar Verbrechen des Widerstands, dessen Protagonisten nach dem Krieg die Politik Norwegens für Jahrzehnte bestimmen sollten. Diese mächtigen Männer (und ihre Nachfolger) hatten 70 Jahre lang die Deutungshoheit über die jüngere Geschichte. Eine kritische historische Aufarbeitung habe nie wirklich stattgefunden, sagt Gard Sveen. Im Gegenteil, wichtige Akten seien verschwunden. Und so spürt der Autor derzeit selbst einigen Widerstand. |