Eine Rezension dieses Buchs wurde zuerst in der Sendung "Bücher für junge Leser" beim Deutschlandfunk gesendet, hier geht es zum Podcast.) Schön ist sie schon, diese Hommage an Erich Kästner und seinen Klassiker „Emil und die Detektive“! Das Kinderbuch „Friedrich der Große Detektiv“ lehnt sich auch optisch an sein großes Vorbild an. Sehr liebevoll gemacht, die Zeichnung auf dem Einband im Stil der berühmten Titel-Illustration von Walter Trier, samt Litfaßsäule und dahinter hervorspähenden Jungs. Ebenso wie die Vignetten im Innenteil stammt sie von Regina Kehn. Der Inhalt aber, die Geschichte von Philipp Kerr, kommt derartig belehrend kreuzpädagogisch daher, dass es Kästner grausen würde. Keine Spur von dessen Witz oder Ironie. Die einzige Ironie besteht darin, dass der Brite Kerr gerade dort eine teutonisch bierernste Geschichtsstunde abliefert, wo das Vorbild des deutschen Schriftstellers leicht und spielerisch war. Geschichtsstunde mit Thesen liefernden kindlichen Sprechpuppen Aber von Anfang: Friedrich Kissel, 12 Jahre alt, liebt den Roman „Emil und die Detektive“. Er hat das Buch mindestens zwanzig mal gelesen und besitzt sogar ein signiertes Exemplar. Erich Kästner wohnt in der Nachbarschaft und ist mit Friedrichs Vater befreundet, der beim Berliner Tageblatt als Redakteur arbeitet. Er nimmt Friedrich mit zur Premiere der Verfilmung von 1931, wo der Junge den Regisseur Billy Wilder und den Illustrator Walter Trier trifft. Friedrichs großer Bruder Rolf dagegen lehnt das Buch, den Film und auch den Autor wütend ab. Er verehrt Adolf Hitler, verachtet den Pazifisten Erich Kästner und spuckt Gift und Galle, weil der böse Dieb Herr Grundeis mit seinem kleinen Schnäuzer im Film stark an den Vorsitzenden der NSDAP erinnert. „(...) während des Films hörte Friedrich, wie sich mehrere Leute im Publikum auf die Ähnlichkeit aufmerksam machten – auch seine Eltern. Friedrichs Vater flüsterte ihm zu, dies wäre vielleicht nicht so eine kluge Entscheidung gewesen, da die Nazis – wie man die Mitglieder der Partei nannte – sich oft mit Leuten prügelten, die anderer Meinung waren als sie, besonders mit den Kommunisten und den Sozialdemokraten. Zwischen ihnen gab es auf den Berliner Straßen ständig Zusammenstöße, und manchmal wurden auch Leute ernsthaft verletzt oder sogar getötet, selbst Polizisten.“ Die Familie Kissel ist gespalten, jeden Tag gibt es Streit zwischen den Eltern und Friedrichs großem Bruder. Friedrich selbst ist hin und hergerissen zwischen naiver Begeisterung für die Paraden und Aufmärsche, die er bei der Ernennung von Hitler zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 erlebt, und Empörung. Einer seiner besten Freunde, der blonde Leo Hertz, ist Jude und wird neuerdings vor der gesamten Klasse von dem fiesen Mathematiklehrer Dr. Braun schikaniert. Im Mai desselben Jahres wird Friedrich entsetzt Zeuge der Bücherverbrennung. Aufstieg der Nazis aus der Sicht eines Kindes Den Aufstieg der Nazis, die Zerstörung der Demokratie und den Weg in Krieg und Mord aus kindlicher Sicht zu erzählen, wäre eigentlich eine gute Idee. Wenn die Kinderfiguren nicht derartig unglaubwürdig gezeichnet wären und hölzerne Dialoge wie diesen abliefern müssten, zwischen Friedrich und seiner Freundin Victoria, genannt ‚Doktor’. „Sie gingen mit Hunderten von anderen Berlinern die Straße Unter den Linden entlang in Richtung Opernplatz. «Wie geht es dir?», fragte Friedrich. «Ich bin müde», gestand Doktor. «Es ist ganz schön spät. Aber gleichzeitig bin ich auch aufgeregt und nervös, weil ich glaube, wir kriegen hier etwas Wichtiges zu sehen. Bestimmt erinnern wir uns unser ganzes Leben daran. Immerhin sieht man nicht jeden Tag, wie die Bücher von so bedeutenden Schriftstellern wie Leo Tolstoi und Fjodor Dostojewski ins Feuer geworfen werden.» Friedrich hatte die Bücher dieser Schriftsteller noch nie gelesen, aber er nahm sich vor, es bald nachzuholen. Jetzt erst recht. «Ja, so geht es mir auch», sagte er. Ungefähr vierzigtausend Menschen hatten sich vor der Berliner Oper gegenüber der Universität versammelt, um dieses seltsame Mitternachtsspektakel zu sehen. Viele von ihnen waren Braunhemden, die wie immer nach Bier rochen und breit grinsten, als wäre die Bücherverbrennung eine gute Tat, so wie einer alten Dame über die Straße zu helfen. Doktor flüsterte Friedrich ins Ohr, dass sie genau das am meisten störte: Wie die Braunhemden grinsten, während sie sich daranmachten, die Werke einiger der größten Schriftsteller der Welt zu zerstören. «Ich kann nicht verstehen, wie überhaupt jemand daran Spaß haben kann», meinte sie. «Das ist doch reiner Vandalismus. Als wären wir wieder im Mittelalter.»“ Beim Lesen dieses Dialogs wollte ich das Buch zum ersten Mal quer durch den Raum werfen. Habe ich nur deshalb nicht, weil ich auf dem ipad lese. Eigentlich kann Philipp Kerr nur einhändig getippt haben. Die andere Hand wird er gebraucht haben, um nachdrücklich mit dem Zeigefinger herumzufuchteln. Das ist ärgerlich: Ein Kinderbuchautor, der seine Kinderfiguren zu bloßen Sprechpuppen degradiert, die altklug Thesen abliefern. Weder Dialoge, noch Charakterzeichnung sind Kerrs Stärke. Den durchaus vielschichtigen, zerrissenen, ambivalenten Lebemann, der Erich Kästner in Wirklichkeit war, idealisiert Kerr als netten Onkel, als mildtätigen Übervater, aus dessen Mund nur Gutes kommt. „Erich Kästner mochte Kinder und junge Leute, was vermutlich der Grund war, warum er Lehrer geworden war. Er war davon überzeugt, dass die Zukunft davon abhing, dass jedem Kind Freundlichkeit und Bildung zuteilwurden, ganz zu schweigen von Geduld.“
Zur Detektivgeschichte wird "Friedrich der Große Detektiv" erst in der zweiten Hälfte Der Mord an dem Maler von abstrakten Bildern bleibt im neuen Unrechtsystem der Nazis ungesühnt, aber wenigstens kann Kerr so auch das Thema „entartete Kunst“ noch abhaken. Den Kommissar und mutmaßlichen Mörder lässt er folgendes sagen: „Ich kann allerdings nicht behaupten, dass ich seine Bilder besonders mochte. Zu modern für meinen Geschmack. Irgendwie entartet. Nicht deutsch, wenn ihr wisst, was ich meine. Ich habe es gern, wenn man auf Bildern was erkennen kann, und zwar etwas Schönes und Erheiterndes. Und keinen Albtraum.“ Friedrichs Geschichte endet ebenso abrupt wie seine Kindheit. Unter Zwang tritt er in die Hitlerjugend ein. Am Schluss des Buchs steht Erich Kästner bei Kriegsende am Grab seines jungen Freundes. Friedrich ist – das hat er mit den Kinderdarstellern in der Verfilmung von „Emil und die Detektive“ gemein – als Soldat im Krieg gefallen. Damit mutet Kerr seinem Publikum die brutale Realität des Krieges zu, andererseits mildert er seinen Schluss durch einen kitschig-didaktischen Dialog zwischen Erich Kästner und Friedrichs reumütigem Bruder Rolf ab. „Rolf begann zu weinen. Nach einer Weile legte Kästner ihm die Hand auf die Schulter und drückte sie, denn trotz der Narbe konnte er Friedrichs Züge in Rolfs Gesicht erkennen. Die Ähnlichkeit war deutlich. Rolf wischte sich über die blauen Augen und zwang sich zu einem Lächeln. «Tut mir leid. Ich weiß auch nicht, warum, aber in letzter Zeit muss ich ständig weinen. Und das ohne jeden Grund.» «Das ist ganz in Ordnung. Und die Zerstörung eines gesamten Kontinents samt mehrerer Millionen von Menschen darauf ist ein ziemlich guter Grund zu weinen, findest du nicht?»“ „Friedrich der Große Detektiv“ ist eine große Enttäuschung und ein einziges Ärgernis. Schöne Idee, wunderbare Vorlage, wichtiges Thema - aber haarsträubend schlecht umgesetzt. Leider gilt auch hier: Das Gegenteil von gut gemacht ist gut gemeint. Oder, wie Erich Kästner einmal sagte: „Man kann sich auch an offenen Türen den Kopf einrennen.“ Philipp Kerr: „Friedrich der Große Detektiv“. Aus dem Englischen von Christiane Steen. Rowohlt Rotfuchs, Reinbek bei Hamburg, 353 Seiten, 14.99 Euro
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